Was ist die Essenz, der Kern der Lehre von Shinran?

Nun, das ist – wie so oft – nicht ganz einfach, es in wenigen Sätzen zu erklären. Ich will es dennoch versuchen, auf den Punkt zu bringen.

Shinran Shonin (‚Shonin‘ ist ein Ehrentitel, sein Name war Shinran) lebte von 1173 – 1263 und gehört damit zu den ‚Reformern‘ in der Kamakura Zeit in Japan (er war Zeitgenosse von Dogen und Nichiren). Er ging als junger Mann in die Klosteruniversität des Berges Hiei, die zur Tendai Richtung des Buddhismus zählte. Dort übte er sich 20 Jahre lang in den diversen Disziplinen, was aber relativ fruchtlos für ihn blieb, d.h. es stellte sich eine ziemliche Ernüchterung bei ihm ein, daß man die Erleuchtung auch nach so langer intensiver Praxis offenbar nicht erreicht.

In der Zeit wirkte Honen Shonin, der die Jodo Shu (Schule des Reinen Landes) gegründet hatte, eine Schule, die die bereits sehr lange Tradition des Reinen Landes des Buddhas Amida (eine aus den früheren Buddhas Amithaba und Amitayus ‚gebildete‘ Vorstellung) in den Mittelpunkt rückte und damit zu einer eigenen Richtung innerhalb des Buddhismus machte. Vorher waren diese Ideen um Amida Teil anderer Richtungen und die Praxis der Rezitation des ‚Nembutsu‘ – die ständige Vergegenwärtigung der ‚rettenden Kraft‘ Amidas durch seinen Namen – Namu Amida Butsu (Ich nehme meine Zuflucht zu Amida Buddha) – wurde als eine Praxis unter vielen betrachtet.

Honen, der durch die Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung von dem, was man als buddhistisches Heilsziel bezeichnen kann, dazu angeregt worden war, nach einem Weg zu suchen, wie alle die Befreiung erreichen könnten, erklärte nun das Nembutsu zur einzigen Praxis, um im Zeitalter des ‚Mappo‘ (dem Niedergang des Dharma) das Ziel überhaupt noch erreichen zu können. Für Honen und seine Anhänger war Amida ein real existierender himmlischer Buddha, ein Buddha unter vielen, der aber durch seine Gelübde alle Wesen zu erretten, eine Sonderstellung innehatte.

Shinran wurde Schüler Honens und erfuhr durch die Vorstellung eines Tariki (Ander-Kraft) bezogenen spirituellen Weges, der sich nicht auf die Bemühungen des schwachen Egos zu stützen suchte, eine Befreiuung, da er ja in den 20 Jahren erkannt hatte, daß er nichts erreicht hatte, obwohl er sich intensiv bemühte. Im Laufe der Zeit entwickelte Shinran, der mit seinem Meister in die Verbannung gehen mußte, weil die herrschenden buddhistischen Schulen dies beim Staat durchsetzten, seine eigene Interpretation der Reine Land Lehren und führte sie weit über die Ansätze Honens hinaus.

Für ihn war Amida nicht einfach ein Buddha unter vielen, sondern Shinran sah in ihm den Dharmakaya-als-Mitgefühl, quasi das ‚Gesicht des Nirvana‘. Er verabsolutierte Amida und sah in ihm nicht mehr eine Figur, die durch Aussehen, Form, Größe etc. als ‚Wesen‘ bestimmt wurde, das in einem real existierenden ‚Land im Westen‘ residierte (was eben die alte, traditionelle Vorstellung war), sondern für ihn war Amida die absolut existierende Buddhanatur in uns und die Verkörperung der letztlichen unbedingten Realität, das ‚Reine Land‘ wurde zu einer allgegenwärtigen Präsenz dieser Buddhanatur und als positive Beschreibung des Nirvana aufgefasst, im Gegensatz etwa zu den negierenden Termini im Theravada, die das Nirvana ‚beschreiben‘ indem sie sagen, was es alles ’nicht ist‘. Vorher galt das Reine Land als ‚Durchgangsort‘ zum Nirvana, als ein paradiesicher Ort in diesem Universum, eine Dimension, wo man leichter praktizieren kann, weil es die schlechten Bedingungen wie auf der Erde nicht mehr gab.

Für Honen war die Rezitation des Nembutsu der Weg Erleuchtung zu erlangen, weil dies die Erettung durch Amida bewirkte. Für Shinran ging es darum, daß das menschliche Ego immer ‚egoistisch‘ konditioniert ist und nicht ich-los handeln kann, es handelt immer in Berechnung (hakarai). Eine Rezitation ‚um-zu‘ war für ihn nur eine weitere Form der ‚Ich-Kraft‘, die versucht sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und war damit von anderen Praktiken, die denselben Ursprung in der Kraft des Egos haben, nicht unterschieden und damit ungeeignet die Befreiung zu erlangen.

Neben der Tatsache, daß Shinran den Reine Land ‚Mythos‘ radikal anders interpretierte (und ihn damit an die Basislehren des Mahayana wieder annäherte), Amida ‚abstrahierte‘, verabsolutierte und letztlich mit der Buddhanatur identifizierte, die in uns immer zur Erleuchtung hin wirkt, vollzog er den radikalsten Schritt – den radikalsten in der gesamten Religionsgeschichte in meinen Augen, weil er ‚Religion‘ gänzlich vom ‚Tun‘ abtrennte – dadurch, daß er die Erlangung des Nirvanas als Geschenk sah. Dieses Geschenk Amidas, dieses völlig natürlich-gegebene (jinen), entspringt nicht dem Tun eines in totaler Verblendung existierenden menschlichen Egos, sondern dem Vertrauen (Shinjin) auf das völlig ‚andere‘, dem Nicht-Ich. Diese ‚Ander-Kraft‘ (Tariki) gilt Shinran als der Schlüssel, um das Ego quasi zu neutralisieren. Dort wo die Ich-Kraft (Jiriki), die Fesseln immer enger schlingt, weil man sich nur um sich dreht (und auch der Impuls, sich selbst zu befreien, ist ein ‚egoistischer‘), befreit das Vertrauen auf die rettende Kraft Amidas, weil man sich abwendet vom Ego, das alles zu kontrollieren sucht.

Ohne jedwede Bedingung (was sich sowohl auf religiöse Praxis, wie auch auf Ethik, bezieht) die zu erfüllen wäre, entfällt die ständige Konzeption eines ‚um-zu‘ da nichts die befreiende Kraft Amidas aufhalten kann, aber auch kein noch so makeloses Leben kann die Befreiung bewirken, oder erzwingen. Diese Auskoppelung der Moral aus der Religion macht Shinrans Konzept einzigartig in der Religionsgeschichte, aber auch anfällig für antinomistische Deutungen, ist aber ein konsequentes Zuende-Denken der buddhistischen Lehre. Da wie Sakymamuni lehrte, daß Ego als größte Illusion den gesamten Leidenskreislauf in Bewegung hält, zielt Shinrans Weg der absoluten Ander-Kraft auf das Herz des Leidensproblems, weil diese totale Transzendierung des uns immanenten Egoismus dieser Illusion letztlich den Boden entzieht. Anstatt zu versuchen diese Illusion  mit denselben Kräften zu überwinden, die sie eigentlich erst schaffen, wendet man sich im Shin Buddhismus gelassen, aber konsequent, von diesem  Ego Konzept ab.  Deswegen ist für Shinran das Nembutsu auch keinerlei Mantra, es bewirkt nichts, es ist eine Danksagung für das erlebte ‚Vertrauen-Können‘, für das ‚totale Loslassen‘, welche der Mensch ohne Absicht spricht. Das Nembutsu steigt völlig natürlich aus einem auf, es sagt sich selbst – und deshalb spricht man im Shin Buddhismus vom ‚Namen der Dich ruft‘. Amida ist Namu Amida Butsu, der Ruf und die Antwort fallen in eins und vergegenwärtigen das, was ‚hinter‘ all unseren Berechnungen und Bemühungen steht und ’sichtbar‘ wird, wenn Shinjin entsteht und das Ego entmachtet wird.

Durch diese völlig neue Interpretation der Reine Land Lehre, wurde Shinran zum Begründer der Jodo Shinshu (Wahren Schule des Reinen Landes), obwohl er selber sich immer als Schüler seines Meisters Honen sah.

The URI to TrackBack this entry is: https://shinbuddhismus.wordpress.com/2010/03/10/was-ist-die-essenz-der-kern-der-lehre-von-shinran-shonin-kann-man-das-in-ein-paar-satzen-erklaren/trackback/

RSS feed for comments on this post.

Hinterlasse einen Kommentar