Buddhismus als Alternative?

Wer sich heute die Auslagen in einer Buchhandlung anschaut, wird bestätigt finden, was sich schon seit einigen Jahren abzuzeichnen beginnt – der Buddhismus liegt nach wie vor im Trend, wie man so schön sagt. Ja, er scheint sich mittlerweile als eine anerkannte Alternativreligion etabliert zu haben, die wie geschaffen für den modernen Westler ist, verbindet der Buddhismus doch gleichermaßen philosophische Tiefe, Offenheit gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, sowie individualisierten und selbstverantwortlichen Zugang zum Spirituellen mit einer weitgehend gewaltfreien Geschichte.

Wo es früher vielleicht nur eine besondere Ecke im Regal einer Buchhandlung gab, die Bücher über Buddhismus als Teil des Esoterik-Booms führte, reicht dies seit einiger Zeit schon lange nicht mehr aus und ganze Regalreihen bieten dem Interessierten ein breites Informationsangebot. Ja, es scheint fast so, als ob es zu diesem Thema schlicht nichts mehr zu sagen gibt, denn neben wissenschaftlichen Monographien, findet man Übersetzungen heiliger Schriften, Anleitungen zur Meditation, Biographien von Konvertiten und buddhistischen Lehrern, Bildbände zu Klöstern, Ratgeber zu buddhistischen Gruppen und vieles mehr. Selbst diejenigen, die zwar früher mal Buddhisten waren, es aber jetzt aus verschiedenen Gründen nicht mehr sind und das Bedürfnis haben, anderen über diese Hinwendung zu- und spätere Abwendung vom Buddhismus zu berichten, bleiben quasi ‘im Thema’ und verstärken den Eindruck, daß man einerseits offenbar schon alles über diese Religion weiß, andererseits alles darüber gesagt ist.

Dies passt auch zu dem Eindruck, der sich einem in der heutigen medialen Landschaft aufdrängt, daß nämlich der Buddhismus mittlerweile im Westen und damit auch in Deutschland ‘angekommen’ ist. Er ist offensichtlich etabliert und hat damit all jene eines besseren belehrt, die im Buddhismus nichts weiter als eine kurzfristige Modeerscheinung allgemeiner Zuwendung zu östlichen Patentrezepten gegen die im Westen scheinbar unaufhaltsam voranschreitende spirituelle Verödung sahen. Daß es nach wie vor im Trend liegt, sich zur 2500 Jahre alten Lehre des Erleuchteten zu bekennen, mag ein Eindruck sein, der auch durch die starke Medienpräsenz der, manchmal abwertend als ‘Hollywood-Buddhisten’ bezeichneten, Bekenner wie Richard Gere, Harrison Ford oder Tina Turner, hervorgerufen wird.

Auch der unglaubliche Bekanntheitsgrad und die geradezu magische Wirkung des Dalai Lama auf die Menschen aller Glaubensrichtungen, vermittelt das Gefühl einer allgegenwärtigen Präsenz des – und eines gesamtgesellschaftlichen Interesses am – Buddhismus. Es mag also für den einen oder anderen immer noch ein ‘Trend’ sein, dem man sich entweder anschließt, oder den man als solchen kritisch hinterfragt, aber das Phänomen ‘Buddhismus im Westen’ lässt sich in seiner Gesamtheit nicht mehr erschöpfend als kurzfristige Erscheinung abtun. Auch die Tatsache, dass es durchaus oft zu einer unreflektierten Vermischung von New Age, Esoterik und Buddhismus kommt, ändert nichts an der Tatsache, dass der Buddhismus dabei ist, sich innerhalb dessen, was man hierzulande gerne als ‘Supermarkt der Religionen’ bezeichnet, mit seinem Angebot zu behaupten und er von vielen Menschen im Westen als echte Alternative zur bereits erwähnten spirituellen Verödung wahrgenommen und eben auch angenommen wird.

Keine größere Stadt mehr ohne mindestens ein buddhistisches Zentrum, buddhistische Zeitschriften am Bahnhofskiosk, Volkshochschulkurse zur Geschichte des Buddhismus, geführte Pilgerfahrten nach Tibet, die in jedem Reisebüro angeboten werden, erfolgreiche Kinofilme über das Leben Buddhas oder über Tibet, Wochenendkurse zum Thema Zazen, oft mit Lehrern aus Japan, was die nötige Authentizität vermittelt. Prominente bekennen sich zur Lehre Buddhas, es gibt Talkshows zum Thema Dialog zwischen den Religionen, bei denen der Dalai Lama oder andere bekannte buddhistische Lehrer, wie etwa Ole Nydhal gern und oft gesehene Gäste sind, geheimnisvolle Kalachakra-Einweihungen werden vor Tausenden Buddhisten mitten in europäischen Städten durchgeführt, so daß es in der Tat so zu sein scheint, als ob alles gesagt wäre und jeder Interessierte informiert ist.

Daß sich dies nicht auf Deutschland oder Europa beschränkt, zeigen z.B. die größten demoskopischen Erhebungen, die in den USA zum Thema Religionszugehörigkeit durchgeführt wurden. Es sind dies die 1990 durchgeführte National Survey of Religious Identification (NSRI), sowie die Folgestudie im Jahr 2001, die American Religious Identification Survey (ARIS). Beide Studien wurden durchgeführt vom Graduate Center of the City University of New York und erfassen einen Zeitraum von 11 Jahren. Als ein für uns an dieser Stelle relevantes Ergebnis dieser Erhebungen lässt sich festhalten, dass es 2001 in den USA etwa 4 Millionen Buddhisten gab, wobei zwei Drittel davon asiatischer Herkunft waren, bleiben also noch 1,3 Millionen von eigentlichen Konvertiten, wobei sich diese Zahlen aktuell deutlich erhöht haben dürften. In Deutschland rechnet der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst (REMID) mit ungefähr 130.000 deutschen Buddhisten (Stand 2005), wobei nochmal dieselbe Anzahl Buddhisten asiatischer Herkunft hinzukommt und für Europa insgesamt lassen sich Erhebungen finden, die von etwa 1-3 Millionen Buddhisten sprechen. Sicherlich bilden in diesen Ländern die Buddhisten immer noch eine Minderheit verglichen mit der Gesamtpopulation, auch wenn die tatsächliche Zahl vielleicht höher liegt, da eine gewisse ‘Dunkelziffer’ von Anhängern der Lehre Buddhas, die dies nicht artikulieren, immer vorhanden ist.

Was aber viel entscheidender ist, als die absolute Anzahl der Bekenner, ist deren relative Gewichtung in der Gesellschaft in Bezug auf die Bildung und die soziale Schicht. Hierbei lässt sich festhalten, dass westliche Konvertiten zum großen Teil einen hohen Bildungsstand und einen entsprechenden sozialen Hintergrund haben, was zwei wesentliche Konsequenzen für die Entwicklung des Buddhismus im Westen mit sich bringt. Einerseits kommt damit diesen Personen ein hoher Stellenwert als Multiplikatoren zu, d.h. ihr Wirkungsgrad, den Buddhismus gesellschaftlich präsent zu machen, ist vom Effekt her höher, als ihre absolute Zahl innerhalb der Bevölkerung vermuten lässt, wobei generell anzumerken ist, dass der Buddhismus oft auch viele beeinflusst, die nominell keine Buddhisten sind.

Andererseits ist dieser Hintergrund westlicher Konvertiten dafür verantwortlich, dass der Buddhismus hierzulande eine Form annimmt, die nur wenig mit der Wirklichkeit der individuell gelebten Religiosität in jenen Ländern zu tun hat, aus denen er ursprünglich zu uns kam. Völlig richtig bemerkt etwa der Religionswissenschaftler Dr. Martin Baumann, dass westliche Buddhisten eine ‘Elite- oder Virtuosenfrömmigkeit’ pflegen und eher die religiöse Praxis und auch die Motivation widerspiegeln, die in den buddhistischen Ländern den Ordinierten, also den Mönchen, Nonnen und Priestern zu eigen ist.

Damit vermittelt der westliche Buddhist ein ganz spezifisches Bild vom Buddhismus, was wiederum Auswirkungen darauf hat, ob und inwieweit jemand hierzulande den Buddhismus als mögliche Alternative für sich betrachtet. Es ist z.B. in buddhistischen Ländern nicht sonderlich üblich, dass sich Laien ausgeprägten Meditationen, oder schwierigen Visualisierungsübungen hingeben, noch ist das Studium der Quellenschriften, oder philosophischer Abhandlungen darüber, weit verbreitet. Der buddhistische Laie lebt den Buddhismus in Asien im Grunde nur in seinen Formen der Volksfrömmigkeit und die persönliche Religiosität drückt sich vornehmlich in den Strukturen traditionellen Brauchtums des Einzelnen und der Familie aus. Die Vorstellungen der Laien sind dabei stärker mit Versatzstücken vor-buddhistischer und/oder nicht-buddhistischer Religionen verbunden, als dies bei den Ordinierten der Fall ist, so dass sich der gelebte Laien-Buddhismus und die damit verbundenen Vorstellungen oft recht weit von der gelehrten Doktrin der jeweiligen buddhistischen Schule, der man angehört, unterscheidet, ja manchmal sind die Unterschiede zwischen den Schulen gar nicht einmal bekannt.

Das, was den Buddhismus im Westen also geradezu definiert, sprich: eigenverantwortliches und aktives Streben nach Erleuchtung, manchmal strenger Vegetarismus und ethische Radikalisierung, oft eine starke Ausrichtung auf religiöse Lehrpersönlichkeiten (etwa der Lama im tibetischen Buddhismus, oder auch der Roshi im Zen), starke Betonung der persönlichen Bildung (z.B. Sprachstudien, um die Quellentexte im Original lesen zu können), Zeiten ausgeprägter religiöser Praxis, oft auch verbunden mit einem zeitweisen Ausstieg aus dem üblichen Alltag (Retreats im tibetischen Buddhismus, oder Sesshins im Zen) usw., wie auch eine generelle Einstellung, den Buddhismus als hauptsächlichen Lebensinhalt und Lebensmittelpunkt zu begreifen und zu praktizieren, findet man bei Laien in Asien in dieser Form nicht.

All diese Aspekte machen in Asien den ‘religiösen Fachmann’ aus, der eigentliche ‘homo religiosus’ ist dort der Mönch oder Priester, ganz genauso, wie wir das aus den säkularen christlich geprägten Ländern im Westen kennen. Diese Verschiebung der gesellschaftlichen Verankerung des Buddhismus, wie sie im Westen wahrzunehmen ist, hat dabei nicht nur den – durchaus positiven – Effekt, dass der Buddhismus als eine Religion der Gebildeten, ja oft geradezu als ‘Religion der Vernunft und der Meditation’ verstanden und propagiert wird, die im Gegensatz zu anderen religiösen Lehren, nicht dem wissenschaftlich-aufgeklärten Weltbild widerspricht. Es kommt dabei leider auch oft zu einer Einstellung, wie sie den ‘religiösen Fachleuten’ in den asiatischen Ländern eher nicht zu eigen ist – westliche Buddhisten neigen manchmal durchaus dazu, diesen genuinen Buddhismus, wie er in den asiatischen Ländern auftritt, als bloß ‘äußeren’ Volksbuddhismus zu begreifen und abzuwerten und viele Aspekte, die nicht zu diesem aufgeklärten Weltbild des Westlers passen, rigoros abzulehnen.

In meiner Studienzeit verblüffte mich ein Kommilitone, der den tibetischen Buddhismus praktizierte, mit seiner Meinung, daß die meisten Tibeter ja gar keine ‘echten Buddhisten’ seien. Auf meine erstaunte Frage, wie er denn darauf komme, erklärte er mir – für ihn wohl durchaus schlüssig – sie könnten ja gar keine echten Buddhisten sein, weil die meisten halt Bauern sind, die vom Buddhismus keine Ahnung haben. Diese Einstellung, wenngleich nicht immer in dieser Deutlichkeit formuliert, begegnete mir öfters, so das man sagen muss, dass der westliche Konvertit geneigt ist, den Buddhismus als philosophische Erkenntnistheorie und -methode zu begreifen, ja man mag sagen, zu verkürzen, und daß der Buddhismus, wie er sich im Westen seit knapp 100 Jahren zu etablieren sucht, dadurch eine spezifische Form entwickelt hat.

Diese Form jedoch führt dazu, dass westliche Buddhisten im Grunde die Chance nicht wirklich nutzen können, mit asiatischen Buddhisten in ihren Ländern eine gemeinschaftliche Basis zu finden, da diese eben oft das Bild des Buddhismus vermitteln, welches der westliche Konvertit, aus seiner ‘gelehrten Orientierung’ heraus, für sich ablehnt. Asiatische Buddhisten wiederum kennen den Buddhismus oft nur in seinen kulturellen Formen, so wie er in ihren Ländern eben historisch gewachsen ist und gelebt wird, was eine Einstellung auf ihrer Seite bedingt, die von den ‘äußeren’ Formen dieser Religion nicht lassen kann und/oder will.

Beide Seiten schotten sich also aus genannten Gründen oft voneinander ab, so dass man im Westen zwei buddhistische Linien findet – die Vertreter einer erkenntnistheoretisch-philosophisch orientierten westlichen Form (die sich gleichwohl oftmals streng an kulturelle Formen aus Asien halten, so als ob sie Angst hätten, mit der Ablegung dieser Äußerlichkeiten eben den einen Schritt zu viel zu tun) und die Vertreter einer – nennen wir sie einmal so – ‘ethnischen’ Form, die nicht daran interessiert sind, dem Buddhismus ein neues Gesicht zu geben, da sie die ererbten kulturellen Strukturen als wesentlich zur jeweiligen buddhistischen Tradition gehörend betrachten, oder sich als (Laien-)Buddhisten neu zu definieren, nur weil man nicht im traditionell buddhistischen Umfeld lebt.

Der Umstand, dass der Buddhismus – im Gegensatz etwa zum Christentum, welches aufgrund von theologischen Lehren Traditionen bildete -, eher ‘kulturelle Traditionen’ schuf und sich durch Anpassung an einheimische Formen entwickelte, macht es auf den ersten Blick aber auch schwer, einen westlichen Buddhismus zu entwickeln. Man kann also durchaus von tibetischem, japanischem, chinesischem etc. Buddhismus sprechen, wobei weitestgehend eine bestimmte Gemeinsamkeit definiert ist, auch wenn es Unterschiede in den spezifischen Lehrgebäuden der einzelnen Schulen gibt. Aber eben weil es, anders als in den Ländern und Kulturen, in denen sich der Buddhismus über die Jahrhunderte hinweg quasi organisch hin zu den jeweiligen Traditionen entfaltet hat, im Westen zu einer recht einzigartigen Situation gekommen ist, macht man sich verstärkt Gedanken darüber, wie man einen ‘westlichen’ oder gar ‘amerikanischen’, ‘deutschen’ etc. Buddhismus entwickeln kann.

Westliche Länder wurden in einer relativ kurzen Zeit mit der Vielzahl mehr oder weniger aller bestehenden buddhistischen Traditionen konfrontiert, die sich in der 2500 jährigen Geschichte dieser Religion gebildet haben und die oft ein gewichtiges kulturelles Erbe mitbringen. Den Dharma authentisch zu leben und zu praktizieren, erscheint deswegen auch immer wieder als unumgänglich verbunden mit der jeweiligen Kultur, aus der eine bestimmte buddhistische Schule stammt, wobei es bis dato nur ansatzweise Bestrebungen gibt, sich von diesen kulturell bedingten Formen oder auch den asiatischen Sprachen, die im religiösen Dienst, etwa bei Andachten oder Rezitationen, Verwendung finden, zu lösen und den hier praktizierten Buddhismus zu verwestlichen, quasi ‘einzudeutschen.’ Dies wiederum bedingt, dass der Buddhismus nach wie vor einen ‘exotischen’ Anstrich hat, der zwar für einige Menschen attraktiv wirkt, was aber bei anderen – wahrscheinlich die Mehrzahl der Bevölkerung – eher verhindert, dass er als persönliche spirituelle Alternative wahrgenommen wird.

Wenn man sich nochmal die Flut der zugänglichen Literatur und der bestehenden buddhistischen Zentren vor Augen führt, ist dann nicht schon alles erklärt, beschrieben, ausdiskutiert? Auch wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung den Buddhismus als tatsächlichen Weg für sich entdeckt hat, reicht nicht das vorhandene Material aus, dass zumindest jeder die Möglichkeit einer persönlichen Auseinandersetzung damit hat? Die Frage mag berechtigt klingen, aber ein genauer Blick gerade in die Regale der erwähnten Buchhandlungen, zeigt ein sehr eingeschränktes Buddhismus-Bild, was dort vermittelt wird.

Man findet akademische Schriften, die sich, in oftmals schwer verständlicher Formulierung, spezifischen Einzelthemen widmen, allgemeine geschichtliche Abhandlungen, die wenig von der inhaltlichen Tiefe der buddhistischen Religion vermitteln, sehr viele Übersetzungen von Vorträgen des Dalai Lama, der ja gerne als „Oberhaupt der Buddhisten” tituliert wird, und viele ‘Einführungen in den Buddhismus’, die wiederum den Eindruck vermitteln, es gäbe auch nur  ‘einen Buddhismus’, so das ein Buch drüber sowieso ausreicht. Trotzdem fragt man sich, wie viele der am Buddhismus Interessierten denn tatsächlich die verschiedenen philosophischen Lehren der einzelnen buddhistischen Schulen einzuordnen wissen, wie bewusst ist man sich wohl der Unterschiede und Gemeinsamkeiten diverser Traditionen dieser Religion, ja wie verbreitet ist überhaupt das Wissen darum, daß es eben nicht den Buddhismus gibt?

Oftmals stiftet man z.B. nur Verwirrung, wenn man darauf hinweist, dass der Dalai Lama nicht automatisch das spirituelle Oberhaupt von Tina Turner ist, nur weil diese sagt, sie sei Buddhistin. Daß sie der Soka Gakkai angehört, die als reine Laienorganisation strukturiert ist, aber dem Nichiren-Buddhismus zuzuordnen ist, ist oft ebenso wenig bekannt, wie der Unterschied zwischen Rinzai, Obaku und Soto Zen. Tantrischer Buddhismus ist recht bekannt und wird von den meisten mit tibetischem Buddhismus gleichgesetzt, wohingegen Shingon als Teil der gleichen Linie, als japanische Variante des Vajrayana, gar nicht bekannt scheint. Weiterhin gibt es gerade in Deutschland ein recht spezifisches Bild des Buddhismus, welches bedingt durch die Rezeptionsgeschichte dieser seit über 100 Jahren bei uns bekannten Religion eine deutliche Schwerpunktbildung hat.

Die ersten, die im 19. Jahrhundert Interesse an der Lehre Buddhas bekundeten, gehörten zum künstlerisch-philosophischen Umfeld, wie etwa Arthur Schopenhauer und oftmals wurde gerade eine vermeintliche atheistisch – nihilistische Ausrichtung des Buddhismus als Möglichkeit für eine willkommene gedankliche Emanzipation aus dem christlichen Umfeld heraus verstanden und genutzt. Während etwa Schopenhauer den Buddhismus im Grunde nur als Bestätigung seiner eigenen Philosophie interpretierte, was viel zur Festigung der Vorstellung beitrug, der Buddhismus sei lebensverneinend, nihilistisch und pessimistisch, kam es im weiteren Verlauf der Bemühungen, den Buddhismus zu studieren, zur Ausbildung eines neuen Verständnishorizontes bezüglich der Lehre Buddhas. Man versuchte, gestützt auf die Studien der Palitexte der in Ceylon, Birma und Thailand vorherrschenden Theravada- Schule des Buddhismus, das zu rekonstruieren, was man als „ursprünglichen Buddhismus” vermutete.

Der Zugang zum Buddhismus über die Methoden und Vertreter einer universitären Philologie legte dabei den Grundstein für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Buddhismus, da jetzt erstmals ein direkter Kontakt zum Thema möglich wurde. War man bisher auf die gefärbten Berichte von Missionaren angewiesen, denen allenfalls ein nebulös bis verzerrtes Bild zu entnehmen war, schien man nun den Reden des Buddha selbst lauschen zu können. Dies führte zu einer besonderen Wertschätzung, respektive Betonung, der Paliquellen und der monastischen Theravada-Tradition, die bis in unsere Tage eine der Hauptströmungen des in Deutschland praktizierten Buddhismus ist. Als Kennzeichen dieser Annäherung an den Buddhismus ist vor allem eine Ausrichtung auf ‘Lehrgespräche’ festzuhalten. Die typische ‘Praxis’ dieser frühen Buddhisten bestand also eher in der gelehrten Diskussion der Palitexte, als in Ausübung der Meditation.

Nach diesen Anfängen kam es zu einer weiteren Begegnung mit dem Buddhismus, der ab den sechziger Jahren auch in Form von japanischen Traditionen in Deutschland Verbreitung fand. Neben Zen, besonders in den Schriften des bekannten Lehrers Daisetz Suzuki dargelegt, gab es Kontakte zum Nichiren-Buddhismus (in der Gestalt der Soka Gakkai Bewegung) und zum Shin-Buddhismus/Jodo Shinshu. Außer Zen hatte aber keine japanische Tradition einen nachhaltigen Erfolg, was bis heute so geblieben ist. Mit Zen kam es zu einer Neuausrichtung deutscher Buddhisten, weg von der reinen textbasierten Diskussion der Lehre Buddhas hin zu einer praktizierten Meditation (jetzt oft genug verbunden mit dem anderen Extrem, einer geradezu textfeindlichen Einstellung), wobei diese Orientierung auf die meditative Praxis in der Folge auch auf die Theravada Buddhisten übergriff und ab den achtziger Jahren kam es dann quasi zu einem Boom des tibetischen Buddhismus. Es entstanden überall Meditations-Gruppen und Zentren für die verschiedenen tibetischen Schulen und Lehrunterweisungen tibetischer Würdenträger hatten einen großen Einfluss auf die Gestaltung der buddhistischen Landschaft.

Letztlich hat sich daran bis heute nicht viel geändert, denn wir haben immer noch eine starke Gewichtung des buddhistischen ‘Dreigestirns’ bestehend aus Theravada, Tibetischem Buddhismus und Zen, was die Gestaltung der ‘buddhistischen Landschaft’ betrifft. Das spiegelt sich nicht nur in den Inhalten der erhältlichen Bücher wieder, den in regelmäßigen Abständen auftauchenden Dokumentationen in den diversen Medien, sondern auch inner-buddhistisch etwa im Inhalt der Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union, ‘buddhismus aktuell‘. Es ist deswegen schwer ohne Eigeninitiative etwas über Traditionen zu erfahren, die nicht diesem ‘Mainstream’ anzugehören scheinen, wie etwa Shingon, Nichiren-Buddhismus oder die diversen Schulen des Reine Land Buddhismus. Sicherlich gibt es fast all diese Traditionen auch in Deutschland, aber sie spielen, was die Zahl ihrer Anhänger betrifft, eine absolut marginale Rolle, wobei sich das Ganze in gewisser Weise verselbständigt hat:

Man kennt bestimmte Traditionen nicht, erfährt aber auch nichts über sie und deswegen bleiben sie zahlenmäßig unbedeutend, weil selten Interessierte den Weg zu ihnen finden. Dies wiederum ist für die DBU etwa, die sich als Vertreter der gesamten buddhistischen Vielfalt in Deutschland sieht, Grund genug, in ihren Präsentationen und Schriften diesen Traditionen kaum Aufmerksamkeit zu schenken, da bei der Leserschaft mit Recht ganz andere Hintergründe vermutet werden, was dem Bekanntheitsgrad der so ignorierten Traditionen wiederum nicht gerade förderlich ist und somit mithilft, die bestehende Situation zu zementieren.

Im Buddhismus heißt es, dass der Buddha 84.000 Wege gelehrt hat, wie man das Leiden überwinden kann, das es 84.000 Tore gibt, die aus dem Leiden heraus führen und jedes dieser Tore öffnet einen Weg, der für eine ganz bestimmte Person der jeweils geeignete ist. Dieses Bild, das den inneren Reichtum der buddhistischen Lehre widerspiegelt, wie er sich seit der Zeit entwickelt hat, wo Siddharta Gautama durch eine innere Erfahrung zum Buddha, zum Erwachten wurde, steht in scharfem Kontrast zur eher selektiven Wahrnehmung des Buddhismus hierzulande und gibt damit die Antwort auf die oben gestellte Frage, eben, dass wohl doch noch nicht all das gesagt worden ist, was zu wissen sich vielleicht lohnt.

Neben meinem generellen fachlichen Interesse am Buddhismus als Religionswissenschaftler stand bei meinen persönlichen Studien in der letzten Zeit die Frage im Vordergrund, was letztendlich den Ausschlag gibt, ob der Buddhismus für eine Mehrheit in der Bevölkerung als spirituelle Alternative in Frage kommt. Ist trotz der starken Präsenz bestimmter Traditionen, vielleicht dennoch nicht das ‘geeignete Mittel’1 dabei, welches christlich sozialisierte, aber weitestgehend säkularisierte, Menschen in unserer Gesellschaft nutzen können, um die Lehre des Buddha als tatsächlichen Weg für sich zu erleben?

Es kann also durchaus sein, dass die Schulen des Buddhismus, die sich in den letzten Jahrzehnten im Westen und vor allem auch in Deutschland etablieren konnten, nur die Erwartungen derer bedienen, die ein sehr spezifisches Verständnis des Buddhismus als spirituellem Weg haben und die vor allem dem Spirituellen in ihrem Leben eine herausragende Stellung zuweisen (können). Wobei diese Erwartungen von den bekannteren buddhistischen Schulen im Westen nicht nur bedient, sondern auch, im Sinne einer notwendigen Einstellung, propagiert werden. Die Kombination aus besonderer religiös-spiritueller Motivation des Einzelnen und der starken Verwurzelung der hierzulande aktiven buddhistischen Schulen in ihrem eigenen kulturellen Kontext, mag deshalb für all jene abschreckend wirken, die sich in beidem nicht wiederfinden können.

Die Ausgangslage des Otto-Normal-Bürgers im Westen, der nicht zu jenen gehört, die schon immer als spirituelle Sucher auf alternativen Pfaden unterwegs waren und der deswegen nicht diese radikale ‘Ich gebe alles’- Einstellung mitbringt, die das ganze Lebenskonzept auf die Erreichung der Erleuchtung hin ausrichtet und oft genug dementsprechend das ‘alte Leben’ auf den Kopf stellt, ist sicherlich eher der ähnlich, die sich auch in den Ursprungsländern des Buddhismus bei den Laien finden lässt. Auch ist der Grad sehr unterschiedlich, inwieweit sich der Einzelne um sekundäre Fähigkeiten bemühen will oder kann, die ihm eine Beschäftigung mit dem Dharma2 überhaupt erst ermöglichen, wenn dieser ihm in einer deutlich kulturellen Ausformung nahe gebracht wird. Setzt man einen Tibetisch-Kurs, die Kenntnis der japanischen Sprache, oder eine Vorliebe für Buttertee voraus, wenn man jemandem das nahe bringen will, was der Buddha als Kern seiner Lehre ansah,

„So wie der große Ozean nur einen Geschmack hat, den Geschmack des Salzes, ebenso haben meine Lehren nur einen Geschmack – den Geschmack der Freiheit.” [Anguttara Nikaya3],

dann wird dies der Sache sicher nicht unbedingt dienlich sein. Und die Sache, um die es geht, ist die schlichte und einfache Tatsache, dass jeder Mensch früher oder später die Augen nicht mehr vor der Einsicht verschließen kann, dass unsere Existenz essentiell mit dem verbunden ist, was der Buddha Dhukka nannte. Dieser Begriff ist oft mit ‘Leiden’ übersetzt worden, was zwar nicht direkt falsch ist, aber zumindest verkürzend. erscheint Das, was das Leben, so wie wir es kennen auszeichnet, ist gemäß dem Buddha ein generelles Gefühl des Unzufriedenseins, des Nicht-Ausgefülltseins, ein Verlorenheitsgefühl und letztendlich immer mit dem verbunden, was man in den verschiedensten Formen als ‘leidhaft’ umschreiben kann.

Alter, Krankheit und Tod sind dabei nur die essentiellen Formen davon, da unausweichlich Teil des Lebens und auch wenn der Einzelne unterschiedlich damit umgehen mag – es bleibt die schlichte Tatsache, dass die stete Vorwärtsschreitung des geistigen und körperlichen Verfalls, die mit dem Ende all unserer Wünsche und Hoffnungen einhergeht, selbst für jene diesen Dhukka-Aspekt deutlich macht, die im Leben selber vor manch anderem bewahrt blieben, was auch unter diesen Begriff fällt. Eine ganze ‘Freizeitindustrie’ nutzt dieses ständig präsente Gefühl, das irgendetwas fehlt im Leben, oder auch die immer irgendwie im Hintergrund lauernde Frage ‘Was soll das alles eigentlich, wenn’s eh nach ein paar Jahren vorbei ist?’, um alle möglichen Ersatzbefriedigungen anzubieten, die kurzfristig diese Leere füllen sollen. Daß sie das nicht können, macht es zwar zu einem einträglichen Geschäft, weil wir immer nach neuen Reizen verlangen, zeigt aber auch, daß die oft schmerzliche Realität dieses Suchens nach dem ‘Sinn’ einfach zu unserem Leben dazugehört und man ihr irgendwie anders begegnen muß.

Alleine die Tatsache, dass wir immer wieder einen Boom der Religiosität im Westen erleben, zeigt, wie sehr wir uns in der säkularen Welt, die wir uns geschaffen haben, nach etwas sehnen, was über diese Welt und das Leben, das wir tagein – tagaus in ihr führen, hinausgeht, ja das über uns selbst, so wie wir uns kennen, hinausführt. Die Menschen werden von einer Sehnsucht getrieben, die sie etwas suchen lässt, von dem sie nicht wirklich wissen, was es ist und das augenscheinlich nur in seiner Abwesenheit auffällt, weil es Unbehagen verursacht, wenn man es nicht hat.

Dabei ist diese Grundsehnsucht in keinster Weise von der verschieden, wie sie andere Menschen zu anderen Zeiten, oder auch in anderen Kulturen erlebt haben, oder erleben, weil es etwas ist, das dem Menschen geradezu in sein Wesen eingeschrieben scheint. Dabei wiegt diese Sehnsucht nach dem Numinosen, wie es Rudolf Otto nannte, in ihrer Konsequenz in der westlichen Welt weit schwerer, da diese die Religion nicht mehr als lebendigen Teil ihrer gesellschaftlichen Struktur gelten lässt, sondern zur reinen Privatsache degradiert hat, die einem bloßen Interesse des Individuums gleichzustellen ist, wie etwa sein Interesse an Orchideen, oder Bevorzugung eines anderen Hobbys. Das Gewicht der Frage, die hinter allen Religionen steht, ist uns dabei gar nicht mehr bewusst und das bedingt, das wir Ausprägungen einer stärker verwurzelten Religiosität, sei es nun bei Menschen, die einen religiösen Weg aus freiem Entschluß ernsthaft gehen, oder bei Angehörigen anderer Kulturen, die traditionell einer bestimmten Religion noch stärker verbunden sind, oft mit Unverständnis oder gar Abneigung gegenüberstehen, weil wir weder die Mittel und Wege, noch die Erfahrung haben, damit irgendwie umzugehen.

Vor dem Hintergrund der Frage, welche Voraussetzungen der Buddhismus mitbringen muss, um als Alternative auf der spirituellen Suche des Otto-Normal-Bürgers wahrgenommen zu werden und welche Erwartungen eine so definierte ‚Zielgruppe‘ an eine Vermittlung der buddhistischen Lehren stellt, ergibt sich für mich eine deutliche Parallele zur Entwicklung des Buddhismus in der Kamakura Zeit in Japan.

Diese Epoche gilt als eine Zeit der Reformen, als historische Schnittmenge und sozialer Braukessel für die Suche nach neuen Formen der Vermittlung dessen, was Buddha als Kern seiner Lehre vermittelt hat – die Erkenntnis und Aufhebung der leidverursachenden Aspekte menschlichen Daseins. Nach den Anfängen des Buddhismus in Indien hat sich diese Religion in einem Prozess stetig fortlaufender Entwicklung befunden und die Konzentration auf bestimmte Lehrpunkte, oder Schriften hat zur Gründung diverser Schulrichtungen geführt, die allesamt einen Teilbereich des Dharma besonders betonen und somit oberflächlich scheinbar Unterschiede aufweisen, zusammen aber ein Ganzes ergeben, das die Fülle der symbolischen 84.000 Dharma-Tore eindrucksvoll vermittelt.

Letztlich finden wir in dieser Zeit und Kultur Menschen, die de facto vom Buddhismus ausgeschlossen waren, weil sie entweder kein Geld hatten, teure Tempeldienste in Anspruch zu nehmen, oder weil sie, bedingt durch ihre Tätigkeit, als Fischer, Jäger, Soldat, Prostituierte etc. quasi permanent die buddhistischen Ethik-Gebote übertraten, ja in Ausübung ihres Lebensunterhaltes übertreten mussten. Personen, die sich auf diese Weise faktisch außerhalb der Sangha, der buddhistischen Gemeinschaft, wiederfanden, stellten die Mehrheit der Bevölkerung. Der Buddhismus hatte in dieser Zeit eine Ausformung hin zu einer Staatsreligion erfahren, die vom Staat auch im Sinne einer geistigen ‚Schutztruppe‘ begriffen wurde, wobei magische und volkstümliche Vorstellungen prägend waren, die an sich mit der Lehre Buddhas rein gar nichts zu tun haben. So wurden regelmäßige Rituale in den Tempeln von den Priestern durchgeführt, die dem Kaiser ein langes Leben schenken sollten und die Grenzen des japanischen Reiches vor Feinden schützen sollten.  Die Verflechtung der einzelnen Tempel mit staatlichen Aufgaben und Institutionen war enorm und führte zu einer Profanisierung des Buddhismus, der kaum noch Anstoß gab, sich um spirituelle Dinge zu kümmern. Tempel wurden reich und neideten anderen Schulrichtungen den Erfolg und die Gunst des Kaiserhauses, so daß es gar zu der quasi öbszön zu nennenden Entwicklung der ‚Krieger-Mönche‘ kam, denen ein ähnliches vedrehtes Verständnis von Religion und militärischer Gewalt zugrunde lag, wie bei den kämpfenden Mönchen der Kreuzfahrer. Tempel hielten sich riesige Armeen dieser bewaffneten Mönche und mehr als einmal wurden ‚feindliche‘ Tempel einfach niedergebrannt. Nur noch wenige schienen sich ernsthaft mit der spirituellen Verwirklichung zu beschäftigen, die Mönche hielten sich Geliebte, was allgemein bekannt und geduldet war.

In dieser Zeit, die generell von Kriegen, Seuchen und Hungersnöten heimgesucht wurde, bot der Buddhismus für den normalen Bürger, der sich auf je seine Weise durchs Leben schlug, wenig bis gar keine Anreize mehr, ihn als tatsächlich gangbaren spirituellen Weg für sich zu sehen. Die Verbindung des Einzelnen blieb deswegen auch eher äußerlich, man war nicht zugelassen zu den großen Ritualen und fühlte sich ständig irgendwie fehl am Platz. Was nütze es, wenn die reine Lehre sagte, ‚man soll nicht töten‘, aber man die Netze jeden morgen auswerfen musste, um zu überleben? Was, wenn der Herr den Samurai in den Krieg schickte? Was machte die Prostituierte, die alles andere zu sein schien, als eine vorbildche Buddhistin? Es gab  einen sehr großen Teile der Bevölkerung, der im buddhistischen Leben Japans einfach nicht vorkam.

In dieser Zeit gab es aber sehr wohl noch Individuen, denen es an einer echten buddhistischen Praxis gelegen war. Persönlichkeiten, wie Dogen, Nichiren, Honen und Shinran suchten in sich selbst, in den Schriften und in der Meditation einen Ausweg aus all diesem und sie waren es auch, die das begründet haben, was man heute als ‚Kamakura Buddhismus‘ bezeichnet. Die Traditionen, die in dieser Zeit begründet wurden, haben ein wichtiges Merkmal gemeinsam, auch wenn sie sich ansonsten voneinander unterscheiden. Soto-Zen, Nichiren-Buddhismus und Reine Land Buddhismus sind alles Schulen, die eine Praxis aus der Fülle der damals bekannten buddhistischen Übungen herausnehmen und sie als einzigen Weg postulieren.

Nichiren etwa erhebt das Lotus Sutra zur Krone der Mahayana Sutren und findet dort die Lehren Buddhas am besten entfaltet, so sehr, das alleine das Rezitieren des Titels (Namo) Myoho renge kyo für ihn ausreichend erschien, die Buddha-Natur zur Blüte zu bringen.

Dogen sah alleine in der Meditation den Weg, die Lehren Buddhas zu verwirklichen, insbesondere die von ihm gelehrte Form des Shikantaza, bei der es weniger um eine Meditation geht, die die Erleuchtung hervorrufen soll, als vielmehr um eine Geisteshaltung, die ihr quasi bereits entspricht, da sie nicht mehr an einem zu erreichenden Ergebnis anhaftet.

Honen wiederum fand in den Schriften die, bereits vom historischen Buddha erwähnte Übung, des Buddhanusmrti (ein Sanskrit-Begriff, der das sich Vergegenwärtigen des Buddha, das an ihn Denken etc. meint) in den Gelübden des Buddhas Amida wieder. Wer sich vertrauensvoll in diesem Sinne an Amida Buddha wendet, sei der Erleuchtung gewiss, so das alle anderen Praktiken überflüssig seien.

Damit reagierten diese buddhistischen Lehrer auf die Tatsache, das es dem normalen Bürger nicht möglich war, aufwändige Übungen durchzuführen, Meditation zum Lebensinhalt zu machen, oder anderweitige Voraussetzungen zu erfüllen, um das buddhistische Heilsziel erreichen zu können. Auch entmachtete es die Ordinierten, die ihre Rolle sowieso nur noch nach außen hin zu übernehmen schienen und nicht mehr als Rollenmodell taugten, so eine Vermittlung durch Tempel und Priester etc. nicht mehr erforderlich war. Der Buddha Dharma war bei diesen Gründern eines ‚Reform-Buddhismus‘ wieder für den einzelnen Menschen da und ihm eben auch direkt zugänglich. Insofern spiegelt es sicherlich auch die Situation, die wir heute im Westen vorfinden, so daß eben ein solcher spiritueller Weg, der sich auf eine einzelne Praxis stützt, die von jedem und überall durchzuführen ist und dem Einzelnen erlaubt, ohne ein stringentes Eingebundensein in diverse Strukturen, den Dharma zu parktizieren, als Alternative erfahren werden kann.

In meinen Augen sind es denn auch die Lehren Shinrans, die einen Buddhismus möglich machen, der sich einerseits als westlicher Buddhismus entfalten kann, da keine zwingenden Verbindungen zu Ritualen und anderen kulturspezifischen Aspekten bestehen und der andererseits auch für jeden als Weg gangbar ist. Ein Buddhismus, der wieder die persönliche Erfahrung  jedes Einzelnen als einzige für ihn verbindliche Erfahrung einsetzt, anstatt Erfahrungen anderer als Maßstab für das eigene spirituelle Leben zu zementieren, ein Buddhismus, der mehr ist, als bloßes Archivieren heiliger Schriften und der Abhängigkeiten auch Dharma-Lehrern gegenüber eine Absage erteilt. Dharma als im tiefsten Sinne Vertrauen schaffend und damit befreiend im Hier und Jetzt, ein Buddhismus für alle und jeden, der niemanden zurücklässt, oder ausschließt. Ein Buddhismus so universal und allumfassend wie tiefes Mitgefühl – verkörpert in der Figur des Amida Buddha und dargelegt in den Lehren Shinrans:

In reflecting on the great ocean of shinjin, I realize that there is no discrimination between noble and humble or black-robed monks and white-clothed laity, no differentiation between man and woman, old and young. The amount of evil one has committed is not considered; the duration of any performance of religious practices is of no concern. It is a matter of neither practice nor good acts, neither sudden attainment nor gradual attainment, neither meditative practice nor nonmeditative practice, neither right contemplation nor wrong contemplation, neither thought nor no-thought, neither daily life nor the moment of death, neither many-calling nor once-calling. It is simply shinjin* that is inconceivable, inexplicable, and indescribable. It is like the medicine that eradicates all poisons. The medicine of the Tathagata’s Vow destroys the poisons of our wisdom and foolishness. (Shinran)

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1 Das auch als ‘geschicktes Mittel’ übersetzte Upaya gehört zu den Kernkonzepten des Buddhismus, der davon ausgeht, dass der Buddha seine Lehre immer dem jeweiligen Verständnishorizont seiner Zuhörer anpasste, anstatt ‘Wahrheit’ in Dogmen zu pressen, die zu akzeptieren sind, ob man sie nun versteht und nachvollziehen kann, oder nicht.

2 Bezeichnung für die Lehre Buddhas

3 ‘Sammlung der Angliederungen’. Teil des Suttapitaka, des ‘Korbes der Lehrreden’, die eine Sammlung von Vorträgen des Buddha darstellt.

Published in: on 3. März 2009 at 13:41  Comments (2)  

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2 KommentareHinterlasse einen Kommentar

  1. Vielen Dank für diese ausführlichen Gedanken.

    In der Tat begreife auch ich den Buddhismus als ein rein philosophisches Theoriegebäude.

    Natürlich erfolgt die Anpassung des Buddhismus an westliche Verhältnisse, wie auch in asiatischen Ländern, auf „organischem“ Weg. Das von Ihnen angeführte Beispiel Schopenhauers bezüglich seiner Emanzipation vom Christentum verdeutlicht dies auf treffende Weise.

    Es scheint so, als ob im Westen die erkenntnistheoretischen Denkanstöße, die der Buddhismus liefert, als willkommene Alternativen oder auch Ergänzungen zu antiken und christlichen Konzeptionen betrachtet werden. Dies mag daran liegen, dass diese Denkanstöße ein Vakuum ausfüllen, dessen sich der aufgeklärte, humanistische Mensch noch nicht so recht bewusst ist. Für mich persönlich besteht dieses Vakuum in dem Widerspruch des westlichen Weltbildes, das den Menschen ins Zentrum rückt, das sich aber trotzdem nie ganz von der Idee eines lenkenden göttlichen Wesens verabschiedet hat.

    Die Schwierigkeit des Westens eine ihm eigentümliche Tradition hervorzubringen, liegt meines Erachtens in dem Anspruch des Buddhismus eine erlebbare Philosophie zu sein. Um Orientierung in dem zutiefst fremden Theoriegebäude zu finden, greift der Westen auf auf Verhaltensregeln zurück, die er anderen Kulturkreisen entnimmt, mit der Konsequenz eigene überwunden geglaubte religiöse Dogmen durch andere zu ersetzen. Dabei übersieht der Westen, dass auch er durchaus eigene Zugänge zum Buddhismus hervorgebracht hat: in Form der Modernen Systemtheorie, dessen berühmteste Vertreter und Bergünder der Neurobiologe Humberto Maturana, der Erkenntnistheoretiker Francisco Varela, der Mathematiker George Spencer-Brown und der Soziologe Niklas Luhmann sind.

  2. Hallo und vielen Dank für Ihren Kommentar.

    Vielem davon kann ich sicher ohne weiteres zustimmen, allerdings würde ich für mich nicht unbedingt sagen, daß ich den Buddhismus ‚als bloßes philosophisches Theoriegebäude‘ begreife. Wie ich in meinem Essay deutlich machte, geht es mir als Shin-Buddhist in meinem Dharma-Verständnis durchaus um eine Grunderfahrung, die man sehr wohl eine mystische nennen könnte. Shinran ist in meinen Augen ein genuin buddhistischer Mystiker und seine Erläuterungen zum entscheidenden Moment des Empfangens von Shinjin betonen eben diese Seite seiner Lehre.

    Natürlich ist der Buddhismus auch ein sehr weit entwickeltes philosophisches und vor allem psychologisches System, ja letzteres bedingt seine Anziehungskraft im Sinne einer Übersteigung des nur Gedachten und erlaubt tatsächliche Änderungen zum Positiven, die man in seinem Leben erfahren kann. Und gerade weil Shinran diese persönliche Erfahrung des Shinjin in den Mittelpunkt seiner Dharmainterpretation stellt erlaubt er eine grundsätzliche Relativierung des Buddhismus als persönlichem Weg von sekundären Elementen wie Ritualen, Ausdrucksformen einer spezifischen Kultur, Sprache etc.. – und eben dies scheint mir die Türe zu öffnen für eine sinnvolle und wirksame Adaption des Dharma gerade im Westen. Leider wird dies von westlichen Shin-Buddhisten nicht wirklich als Chance wahrgenommen, die oft sehr kultur-zentriert erscheinen und das japanische Gewand als kongruent mit dem Inhalt von Shinrans Lehre sehen. Damit unterscheiden sie sich dann nicht vom Verhalten anderer buddhistischer Konvertiten, die ihr ‚kulturelles Vehikel‘ zur Verbreitung und Anwendung des Dharma als sine qua non postulieren.


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